4 Von Zweibeinern und Vierbeinern by James Herriot

4 Von Zweibeinern und Vierbeinern by James Herriot

Autor:James Herriot
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2036-01-02T00:00:00+00:00


Kapitel 11

«Jetzt sehen Sie sich das an», sagte der Farmer.

«Was?» Ich säuberte gerade eine Kuh, das heißt, ich entfernte die Nachgeburt, und mein Arm steckte tief im Uterus der Kuh. Ich drehte den Kopf und sah, wie er auf den Boden unter meiner Patientin deutete. Ich sah vier milchig-weiße Rinnsale über den Zementboden laufen, die aus dem Euter des Tieres kamen.

Er grinste. «Das ist komisch, nicht?»

«Eigentlich nicht», sagte ich. «Es ist eine Reflexhandlung, hervorgerufen durch mein Herumhantieren in ihrem Uterus. Sie wird ausgelöst durch eine Drüse im Gehirn, die die Milch zum Fließen bringt. Ich habe schon oft beobachtet, daß die Kühe Milch geben, wenn ich die Nachgeburt hole.»

«Wirklich merkwürdig.» Der Bauer lachte. «Dann sehen Sie nur zu, daß Sie schnell fertig werden, sonst muß ich Ihnen den Preis von ein paar Maß Milch von der Rechnung abziehen.»

Das war 1947, im Jahr des großen Schnees. Ich habe nie vorher und auch nie nachher so viel Schnee gesehen. Und das Seltsame war, daß es so lange dauerte, bis er fiel. Im November passierte nichts, und wir hatten ein grünes Weihnachtsfest, aber danach wurde es immer kälter. Den ganzen Januar hindurch blies ein steifer Nordostwind, der offenbar direkt vom Nordpol kam. Gewöhnlich kam nach solchem Wetter sehr bald Schnee, und damit wurde es wieder ein bißchen wärmer. Aber nicht im Jahre 1947.

Jeden Tag dachten wir: Kälter kann es nun nicht mehr werden. Aber es wurde kälter. Und dann, an einem der letzten Tage des Monats, trug der Wind ganz feine Flocken heran. Sie waren so fein, daß man sie kaum sehen konnte, aber sie waren auch nur die Vorboten. Anfang Februar begann es in unserer Gegend in großen dicken Flocken zu schneien, stetig und ohne Ende, und wir wußten, nach allem, was sich da zusammengebraut hatte, daß wir dran waren.

Woche für Woche schneite es, manchmal sanft und träge, so daß die Flocken wie ein Vorhang waren, der unbarmherzig alle vertrauten Wahrzeichen und Markierungen begrub, manchmal in wütenden Blizzards. Dabei herrschte weiter strenger Frost und verwandelte die Landstraßen in glatte Bahnen festgefahrenen Schnees, über die wir mit zwanzig bis fünfundzwanzig Stundenkilometer fuhren.

Der lange Garten hinter Skeldale House war unter einem weißen Laken verschwunden. Nur dicht an der Mauer entlang verlief ein tiefer Kanal, durch den ich mich jeden Tag zu meinem Wagen hinten auf dem Hof kämpfte.

Im Hof mußte täglich Schnee geschippt werden, und das Öffnen der großen Doppeltür, die auf den Hof führte, war eine knochenbrechende Arbeit. Eines Tages waren die Türen so verkeilt in den hohen Schneebergen, daß sie sich nicht mehr rührten und mir nichts anderes übrig blieb, als sie für den Rest des Winters offenstehen zu lassen.

Um unsere Besuche zu machen, mußten wir oft zu Fuß gehen, denn viele der Pfade, die zu den Höfen führten, waren zugeschneit. Weiter oben in den Bergen gab es Höfe, die wir überhaupt nicht erreichen konnten, was sehr bitter war, denn zweifellos mußten viele Tiere wegen des Mangels an ärztlicher Hilfe sterben. Es war etwa Mitte März – Hubschrauber warfen über den abgeschnittenen Dörfern und Gehöften Nahrungsmittel ab – als Bert Kealey mich anrief.



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